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Warnzeichen für Handysucht bei Kindern: So erkennen und stoppen Eltern digitale Abhängigkeit

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Zwischen Like und Logout: Wenn Mediennutzung zur seelischen Gefahr wird

Die meisten Eltern kennen dieses nagende Gefühl: Unsere Kinder verbringen immer mehr Zeit vor Bildschirmen. Sei es am Smartphone, an der Spielekonsole oder auf sozialen Plattformen – die digitale Welt scheint sie zu verschlucken. Doch wie gefährlich ist das wirklich? Ist es die schiere Dauer der Nutzung, die Probleme verursacht? Oder steckt etwas anderes dahinter?

Eine groß angelegte Studie aus den USA, veröffentlicht im renommierten Fachjournal JAMA, geht genau dieser Frage nach – mit überraschendem Ergebnis. Mehr als 4.000 Kinder im Alter von neun bis zehn Jahren wurden über vier Jahre hinweg begleitet. Und die Forscher fanden heraus: Es ist nicht die Anzahl der Stunden, die Kinder online oder beim Zocken verbringen, die das Risiko für psychische Erkrankungen erhöht. Weder Angststörungen noch Depressionen oder aggressives Verhalten ließen sich allein durch die Zeit am Bildschirm erklären. Auch suizidale Gedanken standen nicht direkt mit der Dauer der Nutzung in Verbindung.

Doch das bedeutet keineswegs Entwarnung.

Das wahre Risiko: Wenn digitale Welten zur Sucht werden

Die eigentliche Gefahr beginnt, wenn Kinder nicht mehr aufhören können – wenn das Bedürfnis nach dem nächsten Klick, dem nächsten Kommentar, dem nächsten Level überhandnimmt. Was die Studie klar herausstellte: Suchtartiges Verhalten – also die Unfähigkeit, das Gerät zur Seite zu legen, selbst wenn Schule, Familie oder Schlaf darunter leiden – ist der entscheidende Risikofaktor für psychische Probleme.

„Sie empfinden ein Verlangen danach und schaffen es nicht, aufzuhören“, erklärt Dr. Yunyu Xiao, die Leiterin der Studie und Professorin an der Weill Cornell Medical College in New York. Fast jedes zweite Kind in der Untersuchung zeigte ein hohes Maß an suchtartiger Nutzung von Smartphones, bei Videospielen waren es über 40 %. Und je stärker diese Abhängigkeit wurde, desto höher stieg auch das Risiko für suizidale Gedanken und Verhaltensweisen.

Kinder mit einem solchen digitalen Nutzungsverhalten hatten ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko, in eine seelische Schieflage zu geraten – mit Folgen, die über einfache Traurigkeit weit hinausgehen. Und all das bereits in einem Alter, in dem viele Kinder noch in der Grundschule sind.

Social Media oder Gaming: Wer ist besonders betroffen?

Die Studie zeigte auch deutliche Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen. Mädchen geraten besonders häufig in eine emotionale Abhängigkeit von sozialen Netzwerken. Die ständige Selbstinszenierung, das Vergleichen mit anderen, Likes und Kommentare – all das scheint ein emotionales Vakuum zu erzeugen, das schwer zu füllen ist.

Jungen hingegen sind eher von Online-Spielen fasziniert – und zeigen häufiger ein suchtartiges Verhalten in diesem Bereich. Der Reiz der Kontrolle, des Wettbewerbs, des „Level-Ups“ – all das sorgt für Dopaminkicks, die süchtig machen können.

Mehr als nur Zahlen: Was Eltern jetzt wissen sollten

Natürlich hat die Studie auch ihre Grenzen. Die Daten beruhen auf Selbstangaben der Kinder, was immer eine gewisse Unsicherheit mit sich bringt. Zudem konnten genetische oder soziale Faktoren nicht vollständig berücksichtigt werden. Doch eines steht fest: Nicht die Zeit, sondern der Umgang mit digitalen Medien entscheidet darüber, ob sie schaden.

Eltern sollten deshalb nicht pauschal die Bildschirmzeit begrenzen, sondern genau hinsehen: Zeigt mein Kind Anzeichen von Unruhe, wenn es nicht ans Handy darf? Vernachlässigt es Schule oder Hobbys? Wird es wütend oder traurig, wenn das Internet ausfällt? Das sind wichtige Hinweise darauf, dass sich eine problematische Nutzung entwickelt.

Statt Verbote auszusprechen, kann ein bewusster, begleiteter Umgang mit Medien helfen – etwa durch Gespräche, gemeinsame Medienzeiten oder feste digitale Pausen im Tagesablauf. Und wenn der Eindruck entsteht, dass das Kind sich selbst verliert, sollte professionelle Hilfe frühzeitig in Anspruch genommen werden.

Wie Eltern digitale Abhängigkeit verhindern können: Tipps für einen gesunden Umgang mit Bildschirmen

In unserer digitalisierten Welt ist es zur Herausforderung geworden, Kindern ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Bildschirmzeit und realem Leben beizubringen. Die jüngste Studie unterstreicht eindrucksvoll, dass es weniger darum geht, Technik komplett zu verbieten – sondern zu lernen, bewusst damit umzugehen. Und hier kommen die Eltern ins Spiel.

Die klinische Psychologin Melissa Greenberg vom Princeton Psychotherapy Center in New Jersey – selbst nicht an der Studie beteiligt – bringt es auf den Punkt: „Eltern sollten frühzeitig Grenzen setzen.“ Und diese sollten nicht nur theoretisch bestehen, sondern auch aktiv gelebt werden.

Rituale schaffen: bildschirmfreie Zeiten als Familienkultur

Ein einfacher, aber wirkungsvoller Schritt: Legt bestimmte Zeiten fest, in denen keine Bildschirme erlaubt sind. Mahlzeiten ohne Handys. Abende ohne Flimmern. Gespräche ohne digitale Ablenkung. Das sind keine Einschränkungen – das ist Fürsorge.

Besonders wichtig ist die Zeit vor dem Einschlafen. Kinder und Jugendliche sollten ihre Handys spätestens zu einer bestimmten Uhrzeit aus dem Schlafzimmer verbannen. Wer noch nie erlebt hat, wie wohltuend es ist, ohne ständiges Piepen zur Ruhe zu kommen, dem steht eine echte Entdeckung bevor.

Erlebnisse abseits der Bildschirme fördern

Greenberg empfiehlt, ganz bewusst Aktivitäten einzuplanen, die nichts mit Technik zu tun haben. Sei es ein Ausflug in den Park, ein Brettspiel-Abend, gemeinsames Kochen oder einfach Zeit mit Freund*innen. Viele Eltern sorgen sich, wenn ihre Kinder „in echt“ mit anderen Jugendlichen abhängen – dabei lauern die größeren Gefahren oft hinter geschlossenen Türen, wenn sie allein mit Social Media, Chats und potenziellen Online-Risiken konfrontiert sind.

„Ich sage Eltern oft: Lasst eure Kinder raus. Gebt ihnen Raum, sich zu treffen, zu spielen, zu lachen – offline.“

Gutes Vorbild statt digitaler Doppelmoral

Und was Eltern manchmal vergessen: Kinder lernen am meisten durch Beobachtung. Wenn Mama beim Frühstück nur aufs Handy starrt oder Papa abends lieber am Bildschirm hängt als ein Gespräch zu führen, senden wir unterschwellig eine klare Botschaft: „Bildschirmzeit ist normal – und wichtiger als du.“

Greenbergs Rat: „Lebt euren Kindern einen gesunden Umgang mit Technik vor. Zeigt, dass es Pausen gibt – und dass das Leben nicht auf einem Display stattfindet.“

Ein Experiment: Sommerfreitage ohne Bildschirme

Inspiriert von Jonathan Haidts Buch The Anxious Generation entstand eine Bewegung, die junge Menschen dazu ermutigt, ihre Sommerfreitage bildschirmfrei zu verbringen. Eine einfache Idee mit großer Wirkung: Raus ins Leben, rein in die Sonne, weg vom Scrollen.

Einige Sommerlager in den USA greifen die Idee aktiv auf. Trainerinnen und Betreuerinnen werden geschult, ihren eigenen Umgang mit Smartphones zu überdenken – mit dem Versprechen: Wer sein Handy weglegt, hat die Chance auf den besten Sommer seines Lebens.

Was spricht dagegen, das auch zu Hause auszuprobieren?

Stille wieder lernen

Das mag zunächst ungewohnt klingen, aber es lohnt sich: Lernen, mit sich selbst allein zu sein. Ohne Ablenkung. Ohne App. Statt sofort zum Handy zu greifen, wenn ein Moment frei wird, könnten Kinder (und Erwachsene) spazieren gehen – ohne Kopfhörer –, die Natur beobachten, in einer Hängematte träumen oder einfach mal dem eigenen Atem lauschen.

Das ist heute leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Es ist eine Fähigkeit, die geübt werden muss.

Verständnis statt Verbote: Gespräche auf Augenhöhe

Wenn über Bildschirmnutzung gesprochen wird, sollte das niemals im Tonfall von Schuld und Vorwurf geschehen. Viel besser ist es, Kinder aufzuklären: Bildschirme sind gemacht, um uns zu fesseln. Social-Media-Apps sind darauf programmiert, unsere Aufmerksamkeit zu binden – immer wieder, immer länger.

Greenberg betont: „Sprecht offen darüber, wie diese Mechanismen funktionieren – und warum es wichtig ist, sich nicht davon beherrschen zu lassen.“ So entsteht nicht Misstrauen, sondern Bewusstsein.

Gemeinsame Absprachen statt starre Regeln

Eine besonders wertvolle Empfehlung: Setzt euch zusammen und erarbeitet als Familie eine digitale Vereinbarung. Welche Inhalte sind in Ordnung? Wie viele Stunden Bildschirmzeit pro Tag sind okay? Was passiert, wenn Regeln nicht eingehalten werden?

Das Entscheidende: Bezieht euer Kind oder euren Teenager aktiv mit ein. Wenn Jugendliche verstehen, warum bestimmte Regeln sinnvoll sind, akzeptieren sie diese eher – und übernehmen Verantwortung.

Wenn der Bildschirm zur Falle wird: Anzeichen digitaler Abhängigkeit frühzeitig erkennen

Selbst die besten Regeln und Strategien nützen wenig, wenn man die stillen Signale übersieht. Denn Kinder, die in eine Suchtspirale geraten, tun das oft unbemerkt – leise, unauffällig und über längere Zeit. Die aktuelle Studie warnt: Wenn wir nicht genau hinsehen, übersehen wir möglicherweise die entscheidenden Hinweise.

Dr. Yunyu Xiao, die Hauptautorin der Untersuchung, betont: „Wenn wir nicht gezielt nach Anzeichen für Suchtverhalten suchen, bleibt es oft unerkannt.“

Was Eltern beobachten sollten: Typische Warnzeichen

Die klinische Psychologin Melissa Greenberg nennt klare Merkmale, die auf ein süchtiges Nutzungsverhalten bei Kindern und Jugendlichen hinweisen können. Eines der häufigsten: Zwanghaftes Verhalten. Wenn ein Kind ständig sein Handy überprüft – alle paar Minuten, ganz gleich, ob es in der Schule ist, beim Essen, beim Lernen oder längst schlafen sollte – dann kann das ein deutliches Warnsignal sein.

Auch der Versuch, die eigene Bildschirmzeit freiwillig zu reduzieren, der aber immer wieder scheitert, deutet auf Kontrollverlust hin. Manchmal merken Eltern es auch erst, wenn die Noten absinken, Freundschaften bröckeln oder Lehrer sich über ständige Ablenkung beschweren.

Versteckspiel und Rückzug: Wenn Kinder lügen oder heimlich scrollen

Ein weiteres Anzeichen für Suchtverhalten ist, wenn Kinder anfangen, ihre Nutzung zu verheimlichen. Sie lügen über die Zeit am Gerät, löschen Verläufe oder reagieren gereizt, wenn Eltern nachfragen. Je größer die Abwehr, desto ernster sollte man das nehmen.

Greenberg warnt außerdem vor den klassischen Entzugserscheinungen: Reizbarkeit, Nervosität, Traurigkeit oder Wutausbrüche, sobald das Handy weggenommen wird oder der Zugang zu Spielen eingeschränkt ist.

Wenn das Leben offline verblasst

Besonders auffällig wird es, wenn sich Jugendliche aus der realen Welt zurückziehen. Wenn Treffen mit Freund*innen plötzlich „zu anstrengend“ erscheinen, wenn Hausaufgaben nicht mehr erledigt werden, Familienaufgaben ignoriert werden oder jede Aktivität ohne Bildschirm langweilig wirkt – dann ist es Zeit einzugreifen.

Ein oft übersehenes, aber entscheidendes Warnzeichen: Schlafmangel. Wenn Kinder und Jugendliche nachts stundenlang am Handy hängen oder spielen, rauben sie sich selbst die Erholung. Die Folgen sind oft deutlich sichtbar – Müdigkeit, Konzentrationsprobleme, emotionale Labilität, Ängste oder depressive Verstimmungen.

Was tun, wenn der Verdacht zur Gewissheit wird?

Greenbergs erster Ratschlag ist ebenso einfach wie schwer umzusetzen: Nicht urteilen. Verstehen.

„Kinder wollen nicht süchtig sein“, sagt sie. „Und Eltern haben nicht versagt, wenn es doch passiert.“ Die Wahrheit ist: Diese Geräte sind so gebaut, dass sie uns fesseln – Erwachsene genauso wie Kinder. Es geht also nicht um Schuld, sondern um Hilfe.

Gespräche statt Vorwürfe

Der erste Schritt ist das Gespräch. Fragt euer Kind, wie es sich fühlt. Warum es das Bedürfnis hat, ständig online zu sein. Oft verbergen sich dahinter Unsicherheiten, Einsamkeit oder der Wunsch, dazuzugehören.

Dann kann man gemeinsam überlegen: Was könnten wir stattdessen tun? Welche Aktivitäten machen Spaß und lenken ab? Wie können wir unsere digitale Vereinbarung gemeinsam anpassen? Was funktioniert – und was nicht?

Wenn bereits ein Gerätedeal besteht, lohnt es sich, ihn gemeinsam zu überarbeiten. Was hat sich bewährt, was sollte man ändern? Dieser Prozess kann auch helfen, gegenseitiges Vertrauen wieder aufzubauen.

Professionelle Hilfe suchen – ohne Zögern

Doch manchmal reicht das nicht. Wenn der Alltag bereits stark beeinträchtigt ist – schulisch, sozial oder emotional – sollte man nicht zögern, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Therapeut*innen, Beratungsstellen oder spezialisierte Einrichtungen können hier wertvolle Unterstützung bieten.

Die aktuelle Forschung zeigt: Es ist nicht die Dauer der Bildschirmzeit, die am meisten Sorgen bereiten sollte. Es ist das Verhalten. Und das lässt sich – mit Geduld, Verständnis und klaren Grenzen – positiv beeinflussen.

FAQ

Ist Bildschirmzeit grundsätzlich ungesund?

Nein. Die Studie zeigt, dass es weniger auf die Dauer, sondern auf die Intensität und emotionale Abhängigkeit ankommt. Nicht jeder, der viel spielt, leidet auch seelisch – entscheidend ist das Verhalten dabei.

Ab wann spricht man von suchtartiger Nutzung?

Wenn Medienkonsum regelmäßig den Alltag beeinträchtigt – also Hausaufgaben, Schlaf, soziale Kontakte oder das Familienleben gestört werden – kann das ein Zeichen für eine beginnende Abhängigkeit sein.

Wer ist besonders gefährdet?

Mädchen neigen eher zur Sucht nach sozialen Medien, Jungen eher zur Spielsucht. Das bedeutet nicht, dass es keine Ausnahmen gibt – jedes Kind ist individuell.

Was können Eltern konkret tun?

Begleiten statt kontrollieren: Interesse zeigen, Gespräche führen, Regeln gemeinsam vereinbaren – und im Zweifelsfall nicht zögern, Unterstützung von außen zu holen.

Informationsquelle: who . int