Start Geschichte der Allergien Weltweite Erkrankungs und Sterblichkeitsraten – globale Ökonomie der Allergie

Weltweite Erkrankungs und Sterblichkeitsraten – globale Ökonomie der Allergie

1966

Weltweite Erkrankungs und Sterblichkeitsraten
„Allergische Krankheiten stellen für Industrieländer ein sehr großes Problem dar. Mit dem Fortschritt der Industrialisierung und dem immer größeren Einsatz von Chemikalien im Alltagsleben steigt aber auch das Ausmaß an allergischen Krankheiten in Entwicklungsländern.“ Weltgesundheitsorganisation

Nach dem Zweiten Weltkrieg wirkten viele Kräfte und Ereignisse zusammen, um das medizinische und allgemeine Verständnis von und das Wissen über Allergien grundlegend zu verändern. Eine Asthma-Epidemie unter armen Kindern in amerikanischen Großstädten, eine plötzliche Asthma-Todeswelle in Großbritannien und Neuseeland, stark ansteigende Heuschnupfen-, Asthma- und Ekzemraten in den meisten modernen Industrienationen, das Auftreten neuer Formen allergischer Reaktionen und der dramatische Anstieg von Allergien in Entwicklungsländern legten allesamt nahe, dass die Auffassung aus Vorkriegszeiten, allergische Krankheiten wären leichte und relativ seltene Leiden, dringend revidiert werden musste. Da sich immunologische Anfälligkeiten in der Nachkriegszeit stark zu vermehren schienen und Wissenschaftler und Ärzte darum bemüht waren, den Mechanismus und die Bedeutung von allergischen und Autoimmunreaktionen zu klären, wurde die Allergie nicht nur zu einem Hauptthema nationaler und internationaler Gesundheitsämter und staatlicher Organisationen, sondern auch immer öfter Ursache für chronische Leiden, Arbeitsunfähigkeit und manchmal auch für persönliche Tragödien.

Das immer häufigere weltweite Auftreten und Vorherrschen von Allergien ließ Ängste vor einer sozialwirtschaftlichen Belastung alarmierenden Ausmaßes entstehen, was wiederum eine ernorme Herausforderung für moderne Regierungen bzw. die zu errichtenden Gesundheitsdienste darstellte. Das verstärkte Interesse von Öffentlichkeit und Ärzteschaft an den persönlichen und politischen Kosten, die Heuschnupfen, Asthma, Ekzeme und Nahrungsmittelunverträglichkeiten nach sich zogen, ließ jedoch ebenso einen riesigen Markt für eine bald weltumfassende Industriebranche entstehen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann insbesondere die Pharmaindustrie die beträchtlichen finanziellen Gewinne abzuschöpfen, die durch die Entwicklung und Vermarktung entweder frei verkäuflicher oder auf Rezept erhältlicher Antiallergieprodukte möglich waren. Die riesigen multinationalen Pharmagesellschaften waren aber nicht die einzigen Nutznießer der modernen Seuche Allergie. Auch die Reinigungsmittel-, Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie reagierte auf die eskalierende Angst der Öffentlichkeit vor allergischen Krankheiten, die sie manchmal anzuheizen und auszunutzen verstand. Zur Jahrtausendwende konnten ungeheure Geldmengen durch Allergien vernichtet oder auch verdient werden. Dieses Artikel soll zeigen, dass Allergien in der Nachkriegszeit zu einem globalen Problem für die Volksgesundheit wurden, das gleichermaßen das Interesse von Wirtschaft und Konsumenten weckte. Insbesondere werde ich zeigen, dass die deutliche Steigerung des weltweiten Vormarsches allergischer Krankheiten zweifellos neue wirtschaftliche Möglichkeiten schuf, aber auch den Verdacht erhärtet, die moderne Zivilisation, einschließlich der Medizin, würde die Menschen krank machen.

Weltweite Erkrankungs- und Sterblichkeitsraten
Mitte der 1960er-Jahre verkündeten einige Artikel in der Tages- und Fachpresse eine neue Ära in der Allergiegeschichte. Am 27. September 1963 berichtete ein Korrespondent von der Times über eine Welle von Asthmakrankheits- und -Todesfällen auf Kuba. Diese hätte angeblich infolge plötzlicher atmosphärischer Veränderungen auf ihrem Höhepunkt zum Tod von fünf Menschen geführt und über 200 andere ins Krankenhaus gebracht. Im Juli 1965 veröffentlichte dieselbe Zeitung einen Bericht über „eine beunruhigende Häufung von Asthma […] unter New Yorks Negern und Puertoricanern“. Unter Bezugnahme auf die vorherrschende zeitgenössische Auffassung von der psycho-somatischen Natur von Asthma erklärte man solche Vorkommnisse anfänglich „mit Spannungen, die direkt oder indirekt mit der Bürgerrechtsbewegung in Zusammenhang stehen“. Diesen Versuchen, die Epidemie mit einer verletzlichen Immigrantenpsyche in Verbindung zu bringen, lagen Mutmaßungen zugrunde, Asthma wäre rassebedingt. Das wäre jedoch, so Gregg Mitman, von der epidemiologischen Tatsache widerlegt worden, dass die hohe Rate von Asthmafällen in bestimmten Stadtteilen von New York, Chicago und New Orleans eng mit der städtischen Armut in Beziehung stand. Die Folge war, dass die amerikanische Asthmawelle mit der Verwahrlosung der Städte und insbesondere mit der Verseuchung durch Kakerlaken in Verbindung gebracht wurde.

Kurz bevor sie die vermeintlichen Zusammenhänge zwischen Asthma und Rasse in Amerikas Städten enthüllt hatte, hatte die Times auch über die im englischen Eastbourne abgehaltene World Asthma Conference (Welt-Asthma-Konferenz) berichtet. Dort hatten sich einige der Redner anfänglich einmal mehr auf die psychodynamischen Aspekte von Asthma konzentriert und beispielsweise ausgeführt, Kinder würden ihr Asthma einsetzen, um nicht zur Schule zu müssen oder um der Hausarbeit zu entgehen. Auch könnten Kinder und Erwachsene ihr Asthma ausnützen, „um Aufmerksamkeit zu erlangen oder Menschen oder Situationen zu manipulieren“. In Hinblick auf Asthma bei Kindern mahnte John Morrison Smith, ein Facharzt aus Birmingham, jedoch zur Vorsicht. So soll er angeblich gesagt haben: „Es ist wirklich nicht nötig, dass ein Kind an Asthma stirbt.“ Er war davon überzeugt, dass eine bessere Information über die Asthma-Gefahren wichtig wäre, und mahnte an, dass es immer noch zu vermeidbaren Todesfällen käme, „weil der behandelnde Arzt nicht erkennt, dass ein spezielles Kind sterben kann und mit dem Wissen darum behandelt werden muss“.

Smiths Worte erwiesen sich bedauerlicherweise als prophetisch. Ein Jahr später bestätigte Smith schriftlich die immer größer werdenden medizinischen Sorgen angesichts des alarmierenden Anstiegs der Jugendsterblichkeit durch Asthma in Großbritannien. Im Mai 1966 stellte Smith in einem Brief an die Lancet den allgemeinen Rückgang der Asthma-Todesfälle in den 1950er-Jahren dem Trend der frühen 1960er- Jahre gegenüber: In den ersten fünf Jahren dieses Jahrzehnts wären die Asthma-Todesfälle um 50 Prozent gestiegen, wobei der auffälligste Anstieg von Todesfällen bei Kindern über fünf Jahren zu verzeichnen gewesen wäre.4 Detailliertere epidemiologische Untersuchungen enthüllten bald weitere Anzeichen für eine Epidemie von Asthma-Todes fällen in England und Wales.

Seit 1959 war die Asthma-Sterblichkeit in allen Altersgruppen stetig gestiegen, auch wenn der Trend bei Kindern zwischen zehn und 14 Jahren besonders auffällig war, da in dieser Altersgruppe die Sterblichkeitsrate zwischen 1959 und 1966 um das Achtfache gestiegen war. Zusätzlich verdeutlichten Studien, dass das Verhältnis aller dem Asthma anzulastenden Todesfälle im Alter von fünf bis 34 Jahren von einem Prozent im Jahr 1959 auf 3,4 Prozent im Jahr 1966 gestiegen war. Bei Kindern im Alter von zehn bis 14 Jahren war die Sterblichkeitsrate sogar noch dramatischer gestiegen: von einem Prozent im Jahr 1959 auf 7,2 Prozent im Jahr 1966.‘ Folglich war Asthma 1966 „zur vierthäufigsten der bekannten Todesursachen“ geworden und wurde bei Kindern nur von Verkehrsunfällen, Krebs und Atemswegsinfektionen übertroffen.

Angesichts der älteren Auffassung, Asthma wäre eine relativ leichte, nicht tödliche Erkrankung und angesichts der großen Zuversicht der Nachkriegszeit, die Sterblichkeit durch Infektionskrankheiten würde abnehmen und die Medizin könnte viele lebensbedrohliche Leiden heilen, ist es wohl nicht überraschend, dass eine Epidemie von Asthma- Todesfällen sofort die Aufmerksamkeit der Medien erregte. In den späten 1960ern wiesen Artikel in der Times auf die Tragik hin, dass die bessere Asthmabehandlung seit dem Krieg nicht zu einer sinkenden Sterblichkeitsrate geführt hätte und vermittelte den Lesern die durch die Epidemie verursachte „beträchtliche Besorgnis“ von Patienten und Ärzten. Darüber hinaus fiel den Zeitungen auf, dass eine steigende Asthma-Sterblichkeit nicht allein auf Großbritannien beschränkt war, sondern auch in anderen Industrieländern vorkam. Über vergleichbare Asthma-Todeswellen wurde unter anderem in Australien, Neuseeland, Irland und Norwegen berichtet. Frühe Medienberichte wiesen auch auf die Möglichkeit hin, dass der Tod junger Asthmatiker in diesen Ländern womöglich auf den übermäßigen Gebrauch bestimmter, zur Behandlung von Asthma eingesetzter Inhalationssprays zurückzuführen wäre.‘ Obwohl bereits zwischen 1965 und 1967 in Artikeln der medizinischen Fachpresse eine iatrogene Ursache für die Epidemie vorsichtig angedeutet worden war, veranlassten erst gegen Ende des Jahrzehnts die wachsende Sorge der Öffentlichkeit und Ärzteschaft die Epidemiologen, die geografische Verteilung und mögliche Ursachen von Asthma-Sterblichkeitsraten genauer zu analysieren, in der Hoffnung, sie senken zu können.

Internationale Epidemiestudien machten deutlich, dass es verschiedene mögliche Erklärungen für die hohen Sterblichkeitsraten der Nachkriegszeit gab. So könnte der plötzliche Anstieg von Todesfällen durch Asthma in den 1960er-Jahren lediglich „ein Kunstprodukt“ gewesen sein „das von den Veränderungen der diagnostischen Kriterien her-beigeführt wurde“, die die Ärzte zur Todesbescheinigung anwandten. In den späten 1950ern und frühen 60er-Jahren versuchten Pathologen und Ärzte, zu einer besseren Asthma-Definition zu gelangen, um genauer zwischen Asthma, chronischer Bronchitis und Emphysem unterscheiden zu können. Auch aufgrund neuer Behandlungsmethoden, wie der verbesserten Spirometrie und des 1959 eingeführten Peak-Flow- Messgerätes, sahen viele Forscher Asthma vorrangig nur als eine Art Atemwegsfunktionsstörung an, die durch kortikosteroidhaltige Bronchodilatatoren behoben werden könnte. Im Gegensatz dazu zeichnete sich die chronische Bronchitis generell durch einen starken Husten aus, während ein Emphysem grundsätzlich als eine Überblähung der Luft-kammern an den Endbronchiolen angesehen wurde.

Die veränderte Auffassung von chronischen Atemwegserkrankungen führte in manchen Ländern zu Veränderungen der Diagnosepraxis und man bezeichnete nun einst als Bronchitis diagnostizierte Fälle als Asthma. 1979 sagte (Sir) Denis Pereira Gray, der spätere Präsident des Royal College of General Practitioners (Königliche Hochschule für praktische Ärzte), im Rückblick auf seine Zeit als praktischer Arzt im englischen Devon der 1960er- und 70er-Jahre: „Ich muss feststellen, dass das, was ich Bronchitis zu nennen pflegte, jetzt meistens Asthma heißt.“ Auch Roger Robinson, ehemals Professor für Pädiatrie in London und Mitherausgeber des British Medical Journal, erinnerte sich 1991, dass ihn ein 1969 veröffentlichter Aufsatz ermutigt hatte, den Begriff ,Asthma* anstelle der vormals bei Kindern gebräuchlichen Begriffe „Keuchhusten“ oder „asthmatische Bronchitis“ anzunehmen. Dieser Trend war in Großbritannien womöglich auffälliger als auf dem europäischen Festland oder in Nordamerika, wo Bronchitis und Emphyseme gewöhnlich eher als Varianten eines ganzen Spektrums von chronischen Lungenkrankheiten angesehen wurden denn als eigenständige Krankheiten. Dennoch konnten die veränderten Diagnosemethoden die Sterblichkeitsraten der 1960er-Jahre nicht zufriedenstellend erklären. Wie mehrere Autoren seinerzeit eingewandt haben, konnte das Ansteigen der Asthma-Sterblichkeitsrate nicht einfach durch den Wechsel der Benennungen erklärt werden, da Todesfälle durch andere chronische Atemwegserkrankungen nicht in gleichem Maße abnahmen, wie die Zahl der Todesfälle durch Asthma anstieg. Stattdessen, so ihre Annahme, war die Welle von Asthma-Todesfällen „größtenteils realistisch und ein wirklicher Anstieg der jährlichen Zahl der durch diese Krankheit bedingten Todesfälle“.

Nachdem sie auch die Möglichkeit verworfen hatten, eine wachsende Sterblichkeitsrate könnte durch den Anstieg an Patienten erklärt werden, die wegen zunehmender Umweltverschmutzung an Asthma litten, kamen epidemiologische Studien zu dem Schluss, dass „ein Anstieg der Fälle mit tödlichem Ausgang“ die wahrscheinlichste Erklärung für die gegenwärtige Entwicklung wäre. Sie deuteten vorsichtig an, dass dafür tatsächlich neue Behandlungsmethoden von Atemwegserkrankungen verantwortlich sein könnten. Obwohl den Forschern auffiel, dass die Zunahme der Asthma-Sterblichkeitsrate erst neun Jahre nach der Einführung von Kortikosteroiden im Jahr 1952 aufgetreten war, konnte der Einfluss einer dauerhaften Kortisonbehandlung nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Auf alle Fälle würde sie auf „einen viel engeren Zusammenhang“ zwischen Sterblichkeitsraten und „der Anwendung von Druckluftsprays mit Sympathomimetika“ wie den Beta-Agonisten Isoprenalin oder Orciprenalin hinweisen, die zur Linderung der typischen Bronchialkrämpfe eines Asthmaanfalls eingesetzt würden. Solche Bronchodilatatoren waren in Großbritannien 1960 auf den Markt gekommen und 1966 war der Verbrauch um mehr als das Vierfache gestiegen. Spätere Studien erhärteten den Verdacht, dass ein übermäßiger Gebrauch von nicht-selektiven Beta-Agonisten möglicherweise aufgrund einer Kardiotoxizität für die britische Epidemie von Asthma-Todesfällen verantwortlich gewesen sein könnte. Der Beginn der Epidemie fiel nicht nur mit der Einführung dieser Behandlungsmethode zusammen, sondern die Sterblichkeitsrate sank auch schnell wieder, als die Anwendung dieser Mittel 1967 nach einer Warnung des Committee of Safety of Drugs (Ausschuss zur Medikamentensicherheit) zurückging und 1968 der freie Verkauf durch den Zusatzartikel 4B der Poisons Regulations (Giftbestimmungen) verboten wurde.

Trotz der frühzeitigen Vorwürfe gegen inhalative sympathomime- tische Wirkstoffe, blieben (und bleiben) die genauen Ursachen der Epidemie von Asthma-Todesfällen in den 1960er-Jahren umstritten. Verschiedene Autoren haben seinerzeit angemerkt, dass die Ausbildung von praktischen Ärzten nicht ausreichend gewesen wäre, um die Schwere von Asthma zu erkennen, und dass Palliativmedikamente schwerwiegende Symptome kaschiert hätten. Das hätte in Einzelfällen ebenso zum Tod führen können wie das Versagen der Ärzte, bei einigen Patienten adäquat auf psychopathologische Züge zu reagieren. Dennoch untermauerten Sterblichkeitsraten in anderen Teilen der Welt indirekt die frühe Vermutung iatrogener Gründe für die britische Epidemie. So bemerkte Paul Stolley von der School of Hygiene und Public Health (Schule für Hygiene und Volksgesundheit) an der Johns-Hopkins-Universität 1972, dass viele Länder, auch die Vereinigten Staaten, von einer Epidemie hauptsächlich deshalb verschont geblieben wären, weil sie keine großen Mengen des in Großbritannien erhältlichen hoch konzentrierten Isoprenalins auf den Markt gebracht oder verkauft hätten. Hinzu kam, dass Neuseeland in den 1970er-Jahren eine zweite Welle von Asthma-Todesfällen erlebte, die offenbar mit der Verschreibung eines hoch dosierten Fenoterolpräparates in Verbindung stand, eines anderen nicht-selektiven Beta-Agonisten. Nachdem eine Sterblichkeitsrate wie in den 1960er-Jahren zu verzeichnen gewesen war, ließ diese zweite Epidemie erst nach, als Fenoterol 1990 verboten wurde.

Die Auseinandersetzungen über diese Epidemien hatten in den 1960er-Jahren einen nachweislichen Einfluss auf die Auffassung von Asthma und anderen Allergien in der Ärzteschaft und Öffentlichkeit. So führte die Epidemie zu neuen Bestimmungen zur Verschreibung von Bronchodilatatoren und schärfte das Bewusstsein für die Gefährlichkeit von Asthma. Natürlich war vor 1960 nicht unbekannt gewesen, dass Asthma tödlich verlaufen konnte, aber im Allgemeinen neigten Ärzte damals dazu, Asthma als ein relativ leichtes Leiden mit geringerem Einfluss auf die Lebenserwartung anzusehen. Seit Mitte der 1960er- Jahren jedoch wurde Asthma sowohl im medizinischen als auch im öffentlichen Verständnis als ein potenziell lebensbedrohliches Leiden aufgefasst, dass sofort medizinisch von einem Experten behandelt werden musste. Obwohl die Kliniker Zugaben, dass nicht jedes Asthma auf allergischen oder atopischen Ursachen basierte, ermutigte die sich verändernde Auffassung über Asthma Ärzte und Patienten, Natur und Schwere anderer allergischer Krankheiten zu überdenken. Die Neueinschätzung von Asthma diente dazu, die Aufmerksamkeit der Allergologen vom Heuschnupfen abzulenken, der für gewöhnlich als die archetypische allergische Krankheit angesehen wurde, und schwereren Allergieformen, wie beispielsweise Asthma, aber auch Nahrungsmittelallergien und Ekzemen, größere Beachtung zu schenken.

Jedoch, die Epidemie von Asthma-Todesfällen in den 1960er-Jahren war nur ein Aspekt der sich verändernden Epidemiologie und der deutlicheren Sichtbarkeit von Allergien in der Nachkriegswelt. In der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden auch andere epidemiologische und geografische Tendenzen von Asthma, Heuschnupfen, Ekzemen und Nahrungsmittelallergien deutlich. So stieg im späten 20. Jahrhundert in westlichen Industrieländern, die bereits in den Jahren zwischen den Kriegen relativ hohe Allergieraten gehabt hatten, die Häufigkeit und Verbreitung von allergischen Krankheiten weiter an. Daher mussten in vielen Ländern seitens der Gesundheitsdienste besondere Vorkehrungen zur Verbesserung der Behandlung und zur Reduzierung des Produktionsausfalls im Krankheitsfall getroffen werden. Noch verblüffender ist vielleicht, dass allergische Erkrankungen auch zunehmend die Bevölkerungen von Entwicklungsländern plagten, die vielfach noch nicht erkannt hatten, dass Allergien nach dem Zweiten Weltkrieg ein bedeutendes Gesundheitsproblem darstellten.

Die modernen Entwicklungen in puncto Allergie waren in Groß-britannien besonders auffallend. Auf den Rückgang von Todesfällen in den späten 1960ern folgte ein allmählicher Anstieg sowohl der Erkran- kungs- als auch der Asthma-Sterblichkeitsraten in England und Wales. 1995 enthüllte ein vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten, dass es zusätzlich zu den steigenden Asthma-Sterblichkeits-raten seit 1970 zu einem bedeutenden Anstieg von gemeldeten Fällen, Konsultationen von praktischen Ärzten und Krankschreibungen gekommen war. Den landesweiten Krankheitsstatistiken zufolge stieg die Zahl der Menschen, die wegen Asthma praktische Ärzte konsultierten, von 8,5 pro 1000 in den Jahren 1955/56 auf 10,2 in den Jahren 1970/71 und auf 17,8 in den Jahren 1981/82. Das wurde von einer in Westschottland durchgeführten Studie gestützt, die besagte, dass das Vorkommen von Asthma von drei Prozent im Jahr 1972 auf 8,2 Prozent im Jahr 1996 angestiegen war.

Die epidemiologische Struktur von Asthma in Großbritannien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts trifft auch auf andere allergische Krankheiten zu. Die Untersuchung der Bevölkerung einer einzigen Stadt in den 1970er-Jahren belegt, dass im Verlauf dieses Jahrzehnts das Vorkommen von allergischen Krankheiten von ungefähr 23 Prozent auf 30 Prozent anstieg. Noch präziser, zwischen 1972 und 1996 erhöhte sich die Zahl der heuschnupfenkranken Bevölkerung Schottlands von 5,8 auf 19,9 Prozent, während die Zahl der englischen und walisischen Patienten, die wegen Heuschnupfen zum Arzt ging, von 5,1 pro 1000 in den Jahren 1955/56 auf 10,6 in den Jahren 1971/72 und auf 19,7 in den Jahren 1981/82 anstieg. Und eine 1984 durchgeführte Studie belegte den starken Anstieg gemeldeter Ekzemfälle bei Kindern seit dem Zweiten Weltkrieg: „Die Gesamtrate stieg von 5,1 Prozent bei den 1946 geborenen Kindern auf 7,3 Prozent bei den 1958 Geborenen und auf 12,2 Prozent bei der 1970 geborenen Gruppe. 2003 zusammengetragene Zahlen lassen einen weiteren Anstieg vermuten, wobei in Großbritannien besonders Ekzeme vorherrschten und sich zwischen den 1970er- und 90er-Jahren annähernd verdreifacht haben.

Ungeachtet der Schwierigkeiten angesichts unterschiedlicher nationaler Richtlinien zur Diagnose allergischer Krankheiten und den auffallenden internationalen und regionalen Unterschieden bei der Verbreitung von Allergien, wiederholten sich diese britischen Krankheits- und Sterblichkeitsstrukturen in anderen Industrienationen. Studien lassen vermuten, dass das Auftreten von Asthma, Heuschnupfen, allergischer Dermatitis und Medikamentenallergien sich zwischen den 1960er- und frühen 1980er-Jahren in Westeuropa verdoppelt hätte. In der Schweiz zum Beispiel stieg das Vorkommen von Heuschnupfen von 0,82 Prozent im Jahr 1926 auf fünf Prozent im Jahr 1958 und auf ungefähr zehn Prozent in den 1980er-Jahren. Außerhalb von Europa belegten epidemiologische Studien vielfach steigende Zahlen für die meisten allergischen Krankheiten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere in Neuseeland, Nordamerika und Australien. 1983 schätzte man, dass allein in den Vereinigten Staaten mehr als 35 Millionen Menschen an Allergien leiden würden, während 1996 angenommen wurde, dass weltweit ungefähr 150 Millionen Menschen an Asthma erkrankt wären. Und Japan erlebte Mitte des 20. Jahrhunderts gleichzeitig eine rasche Industrialisierung und einen epidemiologischen Wechsel, der die Allergietendenzen deutlich ansteigen ließ.

1934, als Heuschnupfen bei 3,5 Prozent der in Kalifornien ansässigen japanischen Bevölkerung festgestellt werden konnte, war das Leiden in Japan selbst angeblich unbekannt. Aber in den frühen 1980ern war sein Vorkommen auf ungefähr fünf Prozent angestiegen. Studien haben auch ergeben, dass sich nicht nur das Auftreten von Asthma zwischen 1955 und 1971 nahezu verdoppelt hatte, sondern auch, dass die Lebenserwartung von Asthmatikern deutlich geringer war als die der Bevölkerung allgemein.

Mit der größeren Sichtbarkeit von Allergien in den Industrieländern des späten 20. Jahrhunderts veränderte sich auch die geo- und ethnografische Verteilung allergischer Krankheiten. Den vielleicht ersten konkreten Beleg für die globale Verbreitung von Allergien erbrachte eine von Alain de Weck, dem Direktor des Instituts für Klinische Immunologie in Bern, durchgeführte Studie. 1976 hatte de Weck einen Fragebogen an die Mitglieder von Allergie- und Immunologiegesellschaften in Südafrika, Afrika, Asien und Osteuropa verschickt. Die Antworten führten ihn zu der Annahme, dass trotz des oft beschränkten Vorhandenseins von Allergiekliniken in jenen Gebieten die von allergischen Krankheiten verursachten Gesundheitsprobleme in Entwicklungsländern nicht unbedeutend waren und dass sie bei „Industrialisierung und besseren Lebensumständen“ wahrscheinlich noch steigen würden.

Zwei Jahre später vermeldete eine von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einberufene Tagung, dass, historisch belegbar, die meisten Überempfindlichkeitsstudien „in den Laboren und Krankenhäusern der Vereinigten Staaten von Amerika und Europas durchgeführt wurden“, das heißt in Ländern, wo verbesserte Lebensbedingungen und bessere Gesundheitsvorsorgedienste Infektionskrankheiten und Unterernährung unter Kontrolle gebracht hatten und Allergien deutlich anstiegen. Der Bericht teilte die Länder in Gruppen mit hohem, mittlerem und niedrigem Asthmavorkommen ein. Obwohl viele Entwicklungsländer scheinbar ein niedriges Vorkommen hatten, legten Tagungsteilnehmer Belege vor, dass Allergien schnell zu einem Problem für diejenigen Entwicklungsländer wurden, die eine spätere Industrialisierung und epidemiologische Veränderungen durchliefen. Teilnehmer aus Indonesien, Kuwait, Nigeria und Südamerika hoben sowohl die immer größere Bedeutung von allergischen Krankheiten in tropischen und subtropischen Gegenden hervor, als auch den dringenden Bedarf an besseren Ausbildungsmöglichkeiten für Allergologen, an klareren epidemiologischen Daten zur Allergiediagnose und -behandlung und an Aufklärung der Bevölkerung und dass fachmännische medizinische Beratung wichtiger wäre als die wahllose Einnahme von frei verkäuflichen Medikamenten. Die Tagung kam zu dem Schluss, „angesichts der weltweiten Verbreitung von allergischen Krankheiten und ihrer wachsenden sozialwirtschaftlichen Bedeutung, sollte die WHO in Mitgliedsstaaten verstärkt die Aufmerksamkeit auf allergische Krankheiten als Volksgesundheitsproblem richten“.

Im Verlauf der nächsten Jahre enthüllten weitere Studien (einige von der WHO initiiert und finanziert) in vielen Entwicklungsländern steigende Raten von Asthma, Heuschnupfen und anderen allergischen Krankheiten. Dramatischstes Beispiel für diese Tendenzen ist Papua Neuguinea, wo Asthma vor 1972 extrem selten war, wohingegen das Vorkommen bei Erwachsenen in den 1980er-Jahren auf 7,3 Prozent stieg. Im darauffolgenden Jahrzehnt legten weitere Studien nahe, dass auch in verschiedenen afrikanischen Ländern Asthma vorkam. Auch wenn die WHO die Probleme anerkannte, die durch unterschiedliche nationale Allergie-Definitionen und Untersuchungsmethoden entstanden, hob ein weiterer WHO-Workshop 1984 die drohende globale Verbreitung von Allergien hervor:

Allergische Krankheiten, auch wenn sie selten lebensgefährlich sind, bedrohen einen großen Teil der Bevölkerung in Industrieländern und werden gleichzeitig zu einer immer größeren Krankheitsursache für Bevölkerungen in Entwicklungsländern. Was Unannehmlichkeiten im täglichen Leben und wirtschaftliche Verluste angeht, so verdienen allergische Krankheiten sicherlich von den Gesundheitsbehörden ernster genommen zu werden als in der Vergangenheit. […] Wir hoffen, dass die erörterten Überlegungen und Vorschläge gegenwärtigen und zukünftigen Generationen von potenziell allergiegefährdeten Patienten auf der ganzen Welt nützlich sein werden.‘

Genauere Erforschungen der Epidemiologie von Allergien, wie die Mitte der 1990er-Jahre vom Steering Committee of the International Study of Asthma and Allergies in Childhood (Ausschuss für die internationale Erforschung von Kinderasthma und -allergien) koordinierte weltweite Studie, brachten ein deutliches regionales Gefälle der Symptome von Heuschnupfen, Asthma und Ekzemen zutage. Gleichzeitig bestärkten sie aber auch die Befürchtungen, Allergien könnten nicht nur ein Gesundheitsproblem für die westliche, sondern für die ganze Welt darstellen. Solche Belege trugen zur allmählichen Auflösung der althergebrachten sozialen und kulturellen Krankheitsauffassungen bei. Allergie war eindeutig nicht mehr länger nur auf die kultivierte westliche Welt beschränkt, wie noch im frühen 20. Jahrhundert, sondern übertrat, ausgehend vom im Überfluss lebenden Westen, jene Grenzen, die unter Zugrundelegung von Rasse, Klasse, Geschlecht und Geografie errichtet worden waren.

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts trat Asthma im Gegensatz zu Heuschnupfen, der weiter häufiger bei britischen Kindern aus wohlhabenden Familien vorkam, nachweislich häufiger und öfter tödlich in niedrigeren sozialen Schichten auf, was der Krankheits- und Sterblichkeitsrate der meisten chronischen degenerativen Krankheiten entspricht. Ebenso stellten in den 1970er- und 80er-Jahren durchgeführte Untersuchungen die älteren Auffassungen der größeren Allergieanfälligkeit von Männern infrage. Es schien, dass Jungen tatsächlich eine größere Anfälligkeit für gewöhnliche Allergene aufwiesen und häufiger an Allergien litten als Mädchen, doch im Erwachsenalter kehrte sich das Verhältnis für gewöhnlich um. Wie ich im nächsten Artikel darlegen werde, wurde das epidemiologische Profil allergischer Krankheiten immer öfter nicht mehr als Ergebnis einer angeborenen intellektuellen und bildungsbedingten Superiorität angesehen (auch wenn diese Auffassung zweifellos fortbestand), sondern als Folge sich verändernder Prozesse der industriellen Produktion und des Konsums in der modernen Welt.

Während die Debatten über Ausmals und Ursachen des Anstiegs von Asthma, Heuschnupfen, Ekzemen und Nahrungsmittel- sowie Medikamentenallergien noch andauerten, war modernen nationalen und internationalen Gesundheitsorganisationen sofort klar, dass allergische Krankheiten eine sozialwirtschaftliche Belastung darstellten. Im frühen 20. Jahrhundert hatten sich Autoren beschwert, dass Heuschnupfen oft Arbeitsausfälle herbeiführen und Asthma eine Belastung für die Volks-wirtschaft darstellen würde. In einem kurzen Artikel über die Arbeit des Asthma Research Council in der Times hieß es 1929 dazu:

Asthma setzt Jahr für Jahr gut 200 000 ansonsten gesunde Menschen außer Gefecht. Asthma und die ihm verwandten Leiden rauben der Industrie jedes Jahr in den Wintermonaten die Arbeitskraft von mehr als einer halben Million Männern und Frauen. Allein aus wirtschaftlicher Sicht ist ein Heilmittel angesichts von Verlusten dieser Größenordnung überfällig.

Als die Sterblichkeits- und Erkrankungsraten nach dem Zweiten Weltkrieg anstiegen, erhöhten sich sowohl die direkten als auch die indirekten durch allergische Krankheiten verursachten Kosten erheblich. In Großbritannien stiegen die direkten Kosten, bestehend aus verschriebenen Medikamenten, medizinischer Behandlung und Krankenhausein-lieferungen, für den National Health Service (Nationale Gesundheitsbehörde) (NHS) stetig, und drohten „Norman Eowlers Pläne für den NHS zunichte zu machen“, wie ein Beobachter 1985 meinte. Die Sorgen über einen möglichen Kostenanstieg waren berechtigt. In den frühen 1990er-Jahren lagen allein schon die Nettokosten für die Bestandteile von rezeptpflichtigen Asthmamedikamenten bei 347 Millionen Pfund, eine Zahl, die elf Prozent der Gesamtkosten für verschreibungspflichtige Medikamente des NHS ausmachte. Zur Jahrtausendwende lagen die geschätzten Kosten des NHS zur Behandlung von Asthma bei ungefähr 850 Millionen Pfund, 2004 überstiegen sie eine Milliarde Pfund. Die durch Allergien verursachten indirekten Kosten durch Arbeitsausfall und Sozialversicherungszahlungen wurden jedoch häufig noch höher eingeschätzt.

Entschädigungszahlungen der Industrie bei Dermatitisverletzungen (sowohl bei toxischen als auch bei allergischen) machten in den 1970ern zwei Drittel aller wegen Berufskrankheiten ausgezahlter Versicherungssummen aus.44 1977 belegte eine Studie des Asthma Research Council, dass mehr als zwei Millionen Arbeitstage jedes Jahr durch Asthma verloren gingen, was „mehr als 2 Millionen £ an Krankenversicherung kosten“ würde. In den 1990er-Jahren lag die Rate von Krankschreibungen wegen Asthma bei mehr als zehn Millionen Tagen pro Jahr und im Jahr 2000 machten Arbeitsausfall und Versicherungssummen zusammen deutlich mehr als 60 Prozent der nationalen Asthma-Gesamtkosten aus.

Wie mehrere von der WHO in den 1970er-/80er-Jahren koordinierte internationale Studien aufdeckten, stieg die sozialwirtschaftliche Belastung durch allergische Krankheiten nicht nur in Großbritannien weiter an. Laut einer 1978 in Genf abgehaltenen WHO-Tagung waren Asthma und Heuschnupfen in Nordamerika jedes Jahr für „85 Millionen Tage eingeschränkter Arbeitsfähigkeit, 33 Millionen Tage Bettruhe, 5 Millionen Tage Arbeitsausfall und 7 Millionen Tage Schulausfall“ verantwortlich. Einige Schätzungen waren sogar noch dramatischer. In einem 1973 für die Eltern von Kindern mit Allergien veröffentlichten Ratgeber behauptete Claude Erazier, ein Arzt aus North Carolina, dass mehr „Amerikaner an Allergien als an irgendeiner anderen Krankheit leiden“ und dass „sie wegen allergischer Krankheiten jährlich gut 36 Millionen Schultage versäumen“ würden. 1968 lagen in den Vereinigten Staaten die Kosten für Krankenhausaufenthalte von Asthmapatienten bei 62 Millionen Dollar pro Jahr. 1984 waren die direkten Gesamtkosten für Krankenhausaufenthalte, Medikamentation und ärztliche Behandlungszeit bei der Asthmabehandlung auf 1,5 Milliarden Dollar gestiegen. Ähnlich eindrucksvoll ist, dass der Verlust von fünf Millionen Arbeitstagen pro Jahr „589 Millionen $ an entgangenen Löhnen gleichkam“. 1992 lagen die Gesamtkosten für Asthma allein in den Vereinigten Staaten bei mehr als 6 Milliarden Dollar.

Auch wenn sich der Ländervergleich wegen der verschiedenen Gesundheitssysteme und unterschiedlichen Berechnungsraten oft als schwierig erwies, wurde im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts aus vielen kontinentaleuropäischen Ländern ein ähnlicher Anstieg direkter wie indirekter Kosten berichtet. Im Italien der 1970er-Jahre war beispielsweise Asthma die häufigste Krankheit unter Arbeitern. Laut Dr. Apostolou, einem Teilnehmer am XI. Internationalen Kongress für Allergologie und klinische Immunologie 1982 in London, fanden ungefähr 40 Prozent aller Arztbesuche in Griechenland wegen allergischer Krankheiten statt. 1984 schätzte die WHO, dass die direkten und indirekten Kosten von allergischen Krankheiten in Westeuropa sich auf annähernd vier Milliarden US-Dollar pro Jahr belaufen würden. In jüngerer Zeit legte die Extrapolation von Zahlen ausführlicher Untersuchungen in Schweden und Frankreich nahe, dass sich die jährlichen Gesamtkosten der hauptsächlichen allergischen Krankheiten (Asthma, Heuschnupfen und atopische und Kontaktdermatitis) in Westeuropa auf ungefähr 29 Milliarden ECU (ungefähr 35 Milliarden US-Dollar) belaufen würden. Solche Feststellungen veranlassten das UCB Institute of Allergy (UCB-Allergieinstitut), die sozialwirtschaftliche Belastung durch allergische Krankheiten für das moderne Europa noch gravierender einzuschätzen.

Die steigenden Kosten in der modernen Welt können nicht nur auf den Allergieanstieg zurückgeführt werden, sondern auch auf ein größeres Bewusstsein von und einen anderen Umgang mit allergischen Krankheiten. Die epidemiologischen Veränderungen von Asthma in den 1960er- und 70er-Jahren ließen das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit an Allergien bereits frühzeitig stark ansteigen und führten zu neuen regionalen, nationalen und internationalen Gesundheitsmaßnahmen, die darauf abzielten, die Erkrankungs- und Sterblichkeitsraten und den sozialwirtschaftlichen Einfluss allergischer Krankheiten zu reduzieren. So führte in Großbritannien die Welle von Asthma-Todesfällen und die steigende Erkrankungsrate in den 1960er-Jahren zu Forderungen nach besserer Information und Hilfe für Asthmapatienten, aber gelegentlich auch zu spezielleren Wünschen, wie Nichtraucherabteilen in Flugzeugen. Sorgen von Öffentlichkeit und Ärzteschaft führten auch zur Einrichtung spezieller Asthmaabteilungen und Intensivstationen, beförderten die Entwicklung und Zulassung von Vorrichtungen zur häuslichen Asthma-Selbstkontrolle und Behandlung und unterstützten die Abfassung einer Asthma-Charta – veröffentlicht von der National Asthma Campaign (Nationale Asthma-Aktion) -, welche die vom NHS zu erwartende Pflege festsetzte. Obwohl ihr Nutzen umstritten war, wurde auch die Politik der offenen Tür, die eine Selbsteinweisung ins Krankenhaus ohne die Überweisung eines praktischen Arztes möglich machte, in vielen Regionen in England und Wales eingeführt.

Die National Asthma Campaign hatte deutlich gemacht, dass Allergien (und besonders Asthma) zu einem „heißen Eisen“ im britischen Parlament geworden waren. Neben dem Anstoß zur Gründung einer parteiübergreifenden Asthma-Fraktion, „beanspruchte“ das Thema eindeutig „mehr Zeit im Parlament als jedes andere Gesundheitsproblem, mit Ausnahme von Krebs“.

Oft folgte auf die nationalen Ermittlungen steigender Krankheitstendenzen und veränderter Patientenbedürfnisse die Ausarbeitung neuer Richtlinien zum Umgang mit allergischen Krankheiten. Diese Richtlinien wiederum führten zu erneuter Kontrolle bestehender Angebote und zur Neuformulierung sowohl der Allergietrends als auch der Forderungen nach Diensten. In Großbritannien wurden nationale Richtlinien zur Behandlung von Asthma zuerst 1990 von der British Thoracic Society (Britische Thoraxgesellschaft) eingeführt und in den folgenden Jahren regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht. Die Richtlinien legten Protokolle zur Diagnose und zum Beurteilen von Kindern sowie Erwachsenen mit Asthma fest, befürworteten ein schrittweises Herangehen an die Behandlung, stellten Kriterien für die Notaufnahme auf und schlugen Mindestanforderungen für die Organisation und Bereitstellung von Hilfe sowie zur Schulung von Patienten vor. 1991 veröffentlichte das American National Heart, Lung and Blood Institute (Amerikanisches Institut für Herz, Lungen und Blut) (NHLBI) vergleichbare Richtlinien zur Diagnose und Behandlung von Asthma als Teil des nationalen Asthma-Informationsprogramms.

Diese nationalen Initiativen wurden in weltweiten Programmen zusammengefasst, zum Beispiel von der gemeinsam von NHLBI und WHO koordinierten Global Initiative for Asthma (Globale Asthmainitiative) und dem Global Asthma and Allergy European Network (Globales europäisches Netzwerk für Asthma und Allergie), das 2003 gemeinsam von europäischen Forschungs- und Hilfsorganisationen ins Leben gerufen wurde. Wie die WHO in den 1970er-jahren im Gefolge der Asthma-Epidemie und angesichts der überall auf der Welt stetig steigenden Zahlen von allergischen Krankheiten vorhergesagt hatte, waren Allergien bei Anbruch des neuen Jahrtausends zu einem Problem globalen Ausmaßes für die Volksgesundheit und Sozialwirtschaft geworden. Im Verlauf dieses Prozesses hatten allergische Krankheiten zu groß angelegten internationalen Forschungskooperationen geführt und die rasche globale Ausdehnung der Pharmaindustrie erleichtert.