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Allergie und das moderne Heim – Zivilisation und Krankheit

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Allergie und das moderne Heim
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert hatten Kliniker Patienten mit Heuschnupfen und Asthma manchmal geraten, während der Pollensaison mehr Zeit im Haus zu verbringen. In der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde im Gegensatz dazu der Haushalt selbst verdächtigt, Allergien zu befördern. Verantwortlich dafür war zum einen die Tatsache, dass globale Strukturen der Luftverschmutzung die Allergieraten nicht hinreichend erklären konnten, und zum anderen die Beobachtung, dass die Menschen einen immer größeren Teil ihrer Zeit (bis zu 90 Prozent) im Haus zubrachten. Fortan begannen Allergologen den modernen Haushalt sowie den Arbeitsplatz als potenziellen Krankheitsherd anzusehen. Natürlich war das Interesse an Haushalt und Arbeitsplatz als mögliche Brutstätte für Krankheiten nicht neu. Wie Nancy Tomes dargelegt hat, ließ um 1900 das Erkennen um die Rolle von Keimen bei menschlichen Krankheiten auf breiter Front Besorgnisse wegen der häuslichen Hygiene entstehen. Der darauffolgende „Kampf mit den Bakterien“ eröffnete nicht nur erhebliche finanzielle Einkommensquellen für Hersteller solcher Innovationen wie weiße Porzellantoilettenschüsseln, Staubsauger, Kühlschränke, Desinfektionsmittel und andere Verpackungsarten, sondern beförderte auch neue Moden und soziale Umgangsformen, die dazu gedacht waren, eine Verbreitung von Keimen zu reduzieren.

Auch die Entwicklung von Antibiotika Mitte des 20. Jahrhunderts konnte die Ängste vor den Haushaltskeimen nicht wesentlich beschwichtigten. So wurde einerseits das explodierende Konsumdenken ausgenutzt und die Rolle der Frau bei der Aufrechterhaltung häuslicher Harmonie und Gesundheit betont, anderseits aber nutzten die Hersteller von Reinigungsprodukten wie Seifen und Wasch- und Desinfektionsmittel ebenso die andauernden Ängste vor den diversen mikroskopischen Gefahren, die in einem modernen Haushalt lauern konnten.

Als Allergologen Mitte des 20. Jahrhunderts wesentliche Verbesserungen der Symptome von in Freiluftschulen und Bergkurorten versetzten Kindern dokumentierten, erkannten sie, wie wichtig die häusliche Umgebung war. In solchen Fällen, so wurde angenommen, waren die hier lauernden Gefahren sowohl materieller als auch emotionaler Natur. Während das Interesse an den psychogenen Aspekten von Allergien gewiss fortbestand, ermutigten in den 1960er- und 70er-Jahren die dramatischen Veränderungen in den Haushalten der Industrieländer Allergologen und Epidemiologen, sich ausschließlicher auf mögliche Allergene in modernen Haushalten zu konzentrieren, die womöglich für die wachsenden Allergiezahlen verantwortlich waren und die es zu vermeiden galt. So wurde die Luftverschmutzung im Haushalt folgerichtig zur „einzigen und wichtigsten neuen Luftqualitätsfrage der 1980er-Jahre“.

In vielen Ländern führte das zu überregionalen Gutachten und stieß weltweit Untersuchungen zu Gesundheitsrisiken (inklusive Allergien und Krebs) von Schadstoffen an, die in Baumaterialien, Möbeln und anderen Gebrauchsgegenständen enthalten waren oder aus ihnen austraten.

Obwohl sich Allergologen immer bewusster waren, dass Gas, Rauch, Farbausdünstungen und verschiedene flüchtige organische Verbindungen im Haushalt Allergiesymptome verschlimmern konnten, neigten sie in der Nachkriegszeit dazu, sich traditionell auf das allergische Potenzial von Hausstaub zu konzentrieren. Seit vielen Jahrhunderten war bekannt, dass Staub im eigenen Haus und am Arbeitsplatz die Asthmasymptome verschlimmern konnte. Im frühen 20. Jahrhundert, als Asthma, Heuschnupfen und Ekzeme unter der Rubrik „Allergie“ zusammengefasst wurden, führten Kliniker anschaulich vor, dass Staubextrakte positive Hautreaktionen hervorrufen und allergische Symptome bewirken konnten. Das Ergebnis war, dass Staub, ähnlich wie Pollen im Freien, zum archetypischen häuslichen Allergen wurde, obwohl seine Rolle bei Allergien umstritten und der für die Allergie verantwortliche Bestandteil des Staubes viele Jahre lang unbekannt blieb (was John Freeman von einem „allergischen Buhmann“ sprechen ließ).

Die Erkenntnis, dass sich Staub aus vielen verschiedenen Bestandteilen zusammensetzte, einschließlich menschlicher und tierischer Hautschuppen, Federn, Bakterien, Schimmel, Algen und Nahrungsmittel-, Insekten- und Pflanzenresten, verringerte das Interesse am Zusammenhang von Hausstaub und Allergien. In einigen Studien wurde enthüllt, dass viele dieser Substanzen allergische Reaktionen hervorrufen konnten. Von Katzen und Hunden hatte man zum Beispiel schon im 19. Jahrhundert gewusst, dass sie Asthma und Rhinitis auslösen konnten, und im frühen 20. Jahrhundert erkannten amerikanische als auch europäische Allergologen, dass Schuppen von Haustieren starke häusliche Allergene waren. Auch wenn einige Allergologen anfänglich die Vorstellung ablehnten, eine Überempfindlichkeit gegen Tierschuppen wäre häufig die Ursache von Asthma oder Rhinitis, führten weitere Untersuchungen die Forscher zu dem Schluss, dass Haustiere eine wichtige Ursache für häusliche Allergien in der Moderne darstellen würden, besonders in gewissen Regionen, wie zum Beispiel in Nordskandinavien. In der Tat motivierte die wachsende Bedeutung von Haustierallergien ein amerikanisches Unternehmen kurz vor der Jahrtausendwende dazu, „transgene“ Designerhaustiere ohne allergieerzeugende Gene herzustellen.

In den 1960er-Jahren veränderten jedoch Reindert Voorhorst (*1915) und seine Kollegen in der Leidener Allergologieklinik die Auffassung der Rolle von Staub grundlegend, als sie nachweisen konnten, dass in den meisten Fällen der Hauptauslöser von Stauballergien nicht die Tierschuppen waren, sondern die allgegenwärtige Milbe Dermatophagoides pteronyssinus, Die Möglichkeit, dass mikroskopisch kleine Milben an Asthma beteiligt sein könnten, war zuerst 1928 von dem deutschen Arzt Hermann Dekker erkannt worden. Dekker hatte bei der Berücksichtigung von Milben bei Asthma betont, dass moderne Lebensweisen die nötigen Voraussetzungen für die starke Vermehrung von Milben und anderen schädlichen biologischen Substanzen schaffen würden:

Es ist doch – man mag sich zu der Frage des Milbenasthmas stellen, wie man will – ein hygienischer Anachronismus, dass der moderne Kulturmensch in Betten schläft, die ein Hohn sind auf alle „Gesundheitslehren“, in Betten, deren Inhalt in jahrelangem täglichem Gebrauch durch Staub, Pilzsporen, Bakterien in gröbster Weise verunreinigt wird und unter der Einwirkung der feuchten Bettwärme eine üppige Brutstätte von Pilzen, Hefen und schädlichem Ungeziefer wird, in Betten, die oft jahre-, jahrzehntelang nicht gereinigt werden, ja nicht gereinigt werden können, denn das Klopfen, Staubsaugen, Sonnen der dicken Polster wird man doch nicht im Ernst eine Reinigung nennen! Ein vollständig vernachlässigtes Artikel der Hygiene! Umso schlimmer, da ganz sicher Asthma nicht die einzige von Milben herrührende Krankheit ist!

Dekkers Vermutung wurde schließlich von Voorhorst und seinen Kollegen bestätigt, die nicht nur einen engen Zusammenhang zwischen der Stauballergie und der Reaktionsfähigkeit der Haut auf D. pteronyssinus nachwiesen, sondern auch feststellten, welche Rolle Temperatur und Feuchtigkeit bei der Milbenkonzentration im Hausstaub spielten. Voorhorsts Schlussfolgerungen und die darauffolgende Identifizierung eines starken Allergens in den Ausscheidungen der Milben wurden von Allergologen in der ganzen Welt angenommen und brachten die globale Erforschung von Biologie und Ökologie der Hausstaubmilbe erfolgreich in Gang. Insbesondere enthüllten Studien (über die oft in den Medien berichtet wurde) das Vorkommen von Milben in Bettzeug, Teppichen, Möbelpolstern und Spielzeugen, klärten den Einfluss von Feuchtigkeit auf die Milbenpopulationen und die Rolle regelmäßigen Reinigens zur Reduzierung des Milbenbefalls und wiesen nach, dass Milben nicht nur Asthma hervorrufen konnten, sondern auch Ekzeme und Rhinitis.

Das größere Wissen zur Milbenökologie brachte ein neues Verständnis für jahreszeitliche, klimatische, geografische und arbeitsplatzbedingte Unterschiede beim Auftreten von Asthma und anderen allergischen Krankheiten mit sich. Wie verschiedene Studien in den 1960er- und 70er-Jahren aufdeckten, konnten mit Schwankungen der Milbenpopulationen höhere Allergievorkommen bei den in den späten Sommermonaten (wenn das Milbenniveau anfing zu steigen) geborenen Kindern erklärt werden, und ebenso die Verschlimmerung der Symptome im Herbst. Ein Grund für die regionale Verteilung von Allergien wurde gleichfalls in der Auswirkung spezifischer klimatischer Bedingungen auf die Milben gesehen. Zum Beispiel wurde sowohl das Vorherrschen von „Klimaasthma“ in bestimmten Küstenregionen Südafrikas als auch eine Häufigkeit von Asthma in feuchten Häusern in Flussnähe darauf zurückgeführt, dass regionale Feuchtigkeitsunter-schiede die Vermehrung von Milben in jenen Gebieten unterstützen würden.

Umgekehrt wurde das Abklingen von Asthmasymptomen in großer Höhe mit einem geringeren Vorkommen von Hausstaubmilben bei niedriger Temperatur und niedriger Luftfeuchtigkeit in Verbindung gebracht. Auch wenn zur Reduzierung der Milbenpopulationen regelmäßiges Reinigen der Betten empfohlen wurde, stellte das Betten-machen eine Gefährdung für Putz- und Hausfrauen dar, womit gleichzeitig geklärt werden konnte, warum die Milbenüberempfindlichkeit bei Frauen häufiger auftrat.

In erster Linie war die Hausstaubmilbentheorie jedoch deshalb so anziehend, weil man mit ihr nicht nur die typische jahreszeitliche, klimatische und geografische Verteilung von Allergien erklären konnte, sondern auch die globalen, zeitlich begrenzten Vorkommen von Asthma, Rhinitis und Ekzemen. Als der Nachweis der Rolle von Milben bei Allergien gelungen war, gingen Allergologen einem Hinweis Dekkers aus dem Jahre 1928 nach, der darauf hindeutet, dass Einrichtungsmoden und Reinigungsgewohnheiten für die moderne Epidemie von Allergien verantwortlich sein könnten. Im späten 20. Jahrhundert wurden besonders in Neuseeland und Großbritannien oft Teppichböden verlegt, genau in der Zeit, in der diese Länder eine Welle von Asthmaerkrankungen und Todesfällen erlebten. So hatten im Jahr 2000 schätzungsweise 98 Prozent der britischen Wohnungen Teppichböden, verglichen mit 19 Prozent in Frankreich.

Gleichzeitig veränderte sich die Herstellung von Teppichen und anderen Heimtextilien durch die Einführung von Kunstfasern, durch den Einsatz von Florteppichen anstelle von Webteppichen und durch die Versuche der Hersteller, Teppiche zu fabrizieren, in denen Schmutz und Staub in die tieferen Schichten sank, sodass die Oberfläche länger sauber wirkte. Folge dieser technischen Weiterentwicklungen war, dass moderne Teppiche intensivem Staubsaugen länger standhielten, im unteren Gewebe oder auf der Unterlage leicht Feuchtigkeit zurückblieb und dass Hausstaubmilben besser überleben und sich vermehren konnten. Zur Jahrtausendwende hatten Forscher errechnet, dass bis zu 100 000 Milben auf einem Quadratmeter Teppich leben können und dass die Konzentration von Milbenallergenen in Teppichen sechs- bis 14-mal so hoch sein kann wie auf glatten Böden.

Andere größere Veränderungen in Haushaltsmoden, die anscheinend die Vermehrung von Hausstaubmilben erleichterten, waren oft Folge größerer politischer und wirtschaftlicher Erwägungen. Mitte der 1970er-Jahre erhöhte die Organisation der Erdölexportierenden Länder (OPEC) den Ölpreis dramatisch, um nach Ausbruch des Krieges im Mittleren Osten Druck auf den Westen auszuüben. Angesichts der steigenden Bezinkosten und der sprunghaft ansteigenden Inflation leuchtete Hausbesitzern in vielen Industrieländern der gemäßigten Zone sofort ein, dass Energie gespart und die Heizkosten gesenkt werden mussten. So brachten Hausbesitzer Wärmedämmungen an, ältere Fenster wurden durch Doppelverglasungen ersetzt und zugige Türen vermieden. Solche Energiesparmaßnahmen kehrten die traditionellen Auffassungen der wohltuenden Wirkung häuslicher Durchlüftung um und wurden in manchen Ländern auch noch durch spezielle Steuersparmaßnahmen gefördert. Ergebnis dieser Veränderungen waren geringere Durchlüftung, größere Feuchtigkeit und damit eine geeignetere Umgebung für Milben, um sich in Teppichen, Bettzeug und anderen Möbelpolstern breitzumachen. Zwar wurde bis zu einem gewissen Grad durch Zentralheizungen die Zimmerluft ausgetrocknet und dadurch die Milbenkonzentration verringert, insgesamt jedoch haben sie insbesondere im Westen die Gefährdung durch häusliche Allergene wie Milben und Tierschuppen steigen lassen.

Der Nachweis, dass eine Hausstaubmilben-Überempfindlichkeit möglicherweise für viele Fälle von Asthma, Rhinitis und Ekzemen verantwortlich war, führte zu der Ausarbeitung spezifischer Behandlungs und Präventionsmethoden. Allergologen führten Versuche durch, die die Wirksamkeit und Sicherheit der Desensibilisierung mit teilweise gereinigten, in großem Umfang herstellten Milbenextrakten testeten. Während einige Autoren skeptisch waren, was den erwarteten Nutzen der Desensibilisierung anging und Angst vor Nebenwirkungen hatten, berichteten andere über wesentliche Verbesserungen der Asthmasymptome sowie über die geringere Notwendigkeit anderer Behandlungsmethoden.

Unter Bezugnahme auf das Wissen über die Milbenökologie und auf Studien, die ergaben, dass Milbenkonzentrationen in Krankenhäusern aufgrund des ständigen Wechselns und Reinigens der Bettwäsche und des regelmäßigen Säuberns der Matratzen gering waren, empfahlen Kliniker ebenfalls peinlich genaue Reinigungsmaßnahmen zur Reduzierung der häuslichen Milbenkonzentrationen. Während einige Gutachten bedeutende Verbesserungen bei den selbst wahrgenommenen Symptomen und merkliche Reduzierungen bronchialer Überempfindlichkeit feststellten, erkannten Ärzte, dass viele der Allergenvermeidungsstrategien, die in kontrollierten Versuchen getestet worden waren, für Patienten und ihre Pfleger zu anspruchsvoll waren, um sie zu Hause einhalten zu können, oder dass einige Reinigungsmethoden (wie der Einsatz von konventionellen Staubsaugern) eher dazu neigten, die Milbenkonzentration noch zu erhöhen. Das Ergebnis war, dass Allergologen oft als wirksamstes Mittel zur Reduzierung der Milbengefahr daheim einfach die Entfernung des Teppichs empfahlen.

Dass sich Ärzteschaft und Öffentlichkeit über den Zusammenhang von Hausstaubmilbenkonzentrationen und Allergieraten bewusst waren, eröffnete auch profitable Gelegenheiten für Pharmaunternehmen zur Vermarktung von Milbenimpfstoffen, und die Reinigungsindustrie konnte Antiakaridensprays, Matratzen- und Kopfkissenschutzbezüge, Luftverbesserer und Staubsauger mit hoch wirksamen Luftpartikelfiltern erfinden und vermarkten.

Die Konzentration auf Milben ermutigte die Allergologen auch, ihren Patienten zu raten, zur Verringerung der Gefährdung durch häusliche Allergene die Wohnungseinrichtung zu vereinfachen. In den Zwischenkriegsjahren, lange vor der Identifikation von D. pteronyssinus als die für viele Allergien verantwortliche Milbe, hatten Allergologen ihren Patienten und deren Eltern präzise Anweisungen gegeben, wie Staub zu vermeiden wäre. So zum Beispiel das Entfernen oder regelmäßige Reinigen von Teppichen, Vorhängen oder Bildern, das Wischen von Böden und Möbeln mit einem feuchten oder eingeölten Tuch, das Entfernen von Tieren aus dem Haus und Staubsaugen. In Extremfällen empfahlen die Allergologen Storm van Leeuwens allergenfreies (oder „miasmenfreies“) Zimmer, das hermetisch versiegelt und mit gefilterter Luft versorgt wurde.

In den Nachkriegsjahren, als die Allergologen versuchten, ein möglichst allergiefreies Heim zu schaffen, nahmen solche Ratschläge überhand. Dabei führten nicht nur das neue Wissen um den Zusammenhang von Zimmereinrichtung und Allergie zur Bevorzugung einfacher Möblierung, sondern auch moderne architektonische Trends, die die Wichtigkeit von sauberen, geräumigen, funktionalen Innenräumen betonten. Auch althergebrachte Ängste vor Keimen wirkten weiter.

Bereits im frühen 20. Jahrhundert hatten Designer sowohl viktorianische Häuser mit ihren Kissen, Bezügen und anderen Polstermöbeln als auch viktorianische Kleidung als Staubfänger und Brutstätten von Keimen gebrandmarkt. In den 1950er- und 60er-Jahren wurden Inneneinrichter, Architekten und Autoren von Haushaltsratgebern, aber auch Hersteller von Desinfektionsmitteln und anderen Reinigungsprodukten in ihrem Bemühen um Sauberkeit gleichzeitig von der Sorge vor häuslicher Ansteckung wie vom Wissen über die Wirkung von Staub bei Allergien bzw. bei Häufigkeit und Schwere allergischer Krankheiten unterstützt. Am Ende des 20. Jahrhunderts führte dieser Trend zu der Errichtung ökologischer Häuser und „niedrigallergener“ Wohngebietsprojekte, in denen „Teppiche und tapezierte Wände“ von „einem schlichten mediterranen Look“ ersetzt wurden, um den „Energieverbrauch ebenso wie das Wohlbefinden“ zu verbessern.

Die Einstellungen zum modernen Haushalt spiegelten sowohl Ansichten der Ärzteschaft als auch der Öffentlichkeit über Gesetzmäßigkeiten von Infektionskrankheiten und Allergien, enthüllten aber auch gesellschaftliche Vorurteile über Klasse und Geschlecht. Wie mehrere Autoren seinerzeit annahmen, könnten grundlegende überregionale und regionale Unterschiede in Einrichtung und Haushaltsführung sowie bei Umweltfaktoren – wie Feuchtigkeit und Überbevölkerung – die sehr unterschiedlichen Niveaus allergischer Krankheiten bei verschiedenen Rassen, Ethnien und Klassen erklären. Wie einige Historiker herausgefunden haben, waren Reformer aus der Mittelschicht für den Kampf um die häusliche Sauberkeit verantwortlich. Sie versuchten, Gewohnheiten und Wohnungen der Arbeiterklasse und, in manchen Fällen, der Einwanderergemeinden zu verbessern. Natürlich werden viele der empfohlenen Maßnahmen zur Vermeidung von Keimen und Allergenen im Haushalt (z. B. Veränderungen von Einrichtung und Dekoration oder Verbesserungen der sanitären Anlagen), ähnlich wie die Empfehlung für Heuschnupfenpatienten, während der Pollensaison zu verreisen, die finanziellen Möglichkeiten von Arbeiterfamilien bei Weitem überstiegen haben.

An zeitgenössischer medizinischer Literatur kann auch abgelesen werden, dass die Last zur Erhaltung eines gesunden Haushalts eindeutig auf den Schultern der Mütter lag. In einem populären, 1976 veröffentlichten Allergieratgeber, schrieben beispielsweise Doris J. Rapp (eine amerikanische Allergologin, Kinderärztin und klinische Ökologin) und A. W. Frankland, es sei „unmöglich (und unnötig) für eine emsige Hausfrau, das ganze Haus allergiefrei zu bekommen“.

Auf ähnliche Weise warnte 1982 eine Studie zu Hausstaubmilben in Wohnungen im englischen Bristol, jedes Verfahren zur Beseitigung von Staubmilben „sollte einfach und schnell sein, damit es möglichst wirksam über einen längeren Zeitraum von Müttern allein in ihren eigenen Heimen durch-geführt werden kann“. Während solche Aussprüche (ebenso wie speziell für Hausfrauen gedachte Werbung für Reinigungsprodukte) zweifellos die häusliche Realität vieler Frauenleben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spiegelten, verstärkten sie ebenso geschlechtsspezifische Arbeitsaufteilungen und wiederholten die traditionellen Vor-stellungen von der Rolle der Mütter bei der Pathogenese von Allergien, die beispielsweise in den 1940er- und 50er-Jahre in den Auffassungen von ,Affenliebe“ und ,Asthma“ offen zu Tage getreten waren.

Zur Jahrtausendwende erfuhren die Auseinandersetzungen über die Rolle von Hausstaubmilben bei Asthma eine neue Wendung. In Jahr 2000 legte ein in der Lancet veröffentlichter Bericht über eine amerikanische Studie nahe, dass bestimmte, im Staub vorhandene Faktoren (bakterielle Endotoxine) Kinder vor der Entwicklung von Allergien schützen würden. Berichte in den Tageszeitungen frohlockten sofort, dass Leute, die „allergisch auf Hausarbeit“ wären (wenig originell begleitet von dem Bild einer Frau, die den Fernseher abstaubt, während ihre kleine Tochter davor spielt), nun beruhigt sein könnten, dass „ein bisschen Schmutz eine gute Sache sein kann“. Die zentrale Rolle des Hausstaubs bei Allergien wurde auch von der Tatsache infrage gestellt, dass die Gefährdung durch andere Allergene sowohl im Haushalt als auch in anderen Innenräumen bedeutend sein könnte. Eine Flut von Untersuchungen erkundete daher, ob Insekten, Plastik, Mehl, Chemikalien, Kaffee und Rizinusbohnen, Latex, Isocyanate in Farben und andere in Schulen, Büros, Fabriken und Wohnungen vorhandene Substanzen zu Allergien führen könnten. Diese Studien konnten jedoch das klinische Interesse an den H+ausstaubmilben nicht verdrängen. Aber, indem sie auf die materiellen Bedingungen aufmerksam machten, unter denen moderne Bevölkerungen leben und arbeiten mussten, brachten sie Allergologen und Epidemiologen dazu, neuartige Lebensstilfaktoren zu identifizieren, die das Risiko einer Allergiegefährdung in der Moderne verstärkt oder biologische Reaktionen verändert haben könnten.