Darmkrebs bei Jüngeren auf dem Vormarsch – Frühere Diagnosen nehmen zu, doch die Ursachen bleiben rätselhaft
Lange Zeit galt Darmkrebs als eine Erkrankung, die in erster Linie Menschen im höheren Alter betrifft. Doch seit den 1990er-Jahren zeichnet sich ein besorgniserregender Wandel ab: Immer mehr junge Erwachsene unter 50 erkranken an Krebs im Darm- oder Mastdarmbereich – und immer häufiger trifft es sie in einem fortgeschrittenen Stadium. Die Gründe für diese Entwicklung sind bislang unklar. Zwei neue Studien der American Cancer Society beleuchten nun einen Aspekt, der Hoffnung macht – und zugleich neue Fragen aufwirft.
Früherkennung beginnt zu wirken – aber reicht das aus?
Ein Wendepunkt war die überarbeitete Empfehlung der American Cancer Society im Jahr 2018, wonach die Vorsorgeuntersuchung für Darmkrebs bereits ab dem 45. Lebensjahr beginnen sollte – fünf Jahre früher als zuvor. Die US Preventive Services Task Force schloss sich dieser Empfehlung im Jahr 2021 an.
Diese Senkung des Screening-Alters hat klare Auswirkungen: Laut aktuellen Zahlen stieg der Anteil der 45- bis 49-Jährigen, die sich regelmäßig untersuchen lassen, von etwa 20 % in den Jahren 2019 und 2021 auf beachtliche 33,7 % im Jahr 2023. Immer mehr Menschen in dieser Altersgruppe nehmen das Angebot also wahr – ein wichtiger Fortschritt, denn je früher ein Tumor entdeckt wird, desto besser sind die Heilungschancen.
„Die eigentliche Freude liegt nicht nur in den gestiegenen Vorsorgezahlen“, sagt Elizabeth Schafer, eine der Studienautorinnen, „sondern vor allem in den damit verbundenen frühen Diagnosen. Früherkennung kann Leben retten – und genau das beobachten wir jetzt.“
Ein Trend, der schon vorher begann – und andere Ursachen vermuten lässt
Doch so erfreulich diese Entwicklung auch ist: Sie erklärt nicht das gesamte Bild. Der kontinuierliche Anstieg der Darmkrebsfälle bei jungen Erwachsenen begann bereits in den 1990er-Jahren – lange vor den neuen Screening-Empfehlungen. Und er betrifft nicht nur Frühstadien, sondern zunehmend auch fortgeschrittene Erkrankungen.
Eine zweite Studie, ebenfalls unter Leitung der American Cancer Society, zeigt: Die Zahl der früh diagnostizierten Darmkrebserkrankungen bei Menschen im Alter von 45 bis 49 Jahren stieg von 9,4 pro 100.000 im Jahr 2019 auf 17,5 im Jahr 2022 – eine relative Zunahme von rund 50 % innerhalb nur eines Jahres. Eine beeindruckende Entwicklung, die ohne Frage mit der besseren Vorsorge zusammenhängt. Doch: Auch Fälle im Spätstadium nehmen weiter zu.
„Wenn allein das Screening der Auslöser wäre, würden wir vor allem mehr frühe Stadien sehen – nicht gleichzeitig einen Anstieg fortgeschrittener Erkrankungen“, erklärt Schafer. „Das zeigt, dass weitere, bislang unbekannte Faktoren im Spiel sind.“
Was verursacht den Anstieg bei jungen Erwachsenen?
Die Wissenschaft sucht intensiv nach den Ursachen. Umweltfaktoren wie Mikroplastik, hochverarbeitete Nahrungsmittel, hormonaktive Substanzen und chemische Zusatzstoffe stehen im Verdacht, ebenso wie genetische Prädispositionen und Veränderungen im Lebensstil. Doch bisher gibt es keine eindeutige Antwort.
Dr. Josephin Rinaldi, Gastroenterologe am Montefiore Einstein Comprehensive Cancer Center, bringt es auf den Punkt: „Wir wissen, dass es nicht nur das geänderte Screening ist. Es braucht weitere Forschung, um herauszufinden, welche Umweltfaktoren, genetischen Einflüsse oder gesellschaftlichen Veränderungen den Anstieg erklären. Nur so können wir gezielte Maßnahmen zur Prävention entwickeln.“
Das Wichtigste jetzt: Aufmerksamkeit, Aufklärung und rechtzeitige Vorsorge
Solange die Ursachen nicht eindeutig geklärt sind, bleibt eines entscheidend: Aufklärung. Gesundheitsexperten raten dringend dazu, die Warnzeichen ernst zu nehmen – etwa Blut im Stuhl, anhaltende Verdauungsprobleme, ungeklärter Gewichtsverlust oder starke Bauchschmerzen.
„Wer 45 ist, sollte sich unbedingt beraten lassen und die Vorsorgeuntersuchung wahrnehmen“, so der Appell der Mediziner. Denn je früher ein Tumor erkannt wird, desto schonender ist die Behandlung – und desto größer die Chance auf Heilung.
Die Zahlen sind eindeutig: Die Zahl der Früherkennungen nimmt zu, doch die Ursachen für den generellen Anstieg bleiben rätselhaft. Was wir heute tun können, ist aufmerksam sein, über Risiken informieren – und vor allem: die Angebote zur Vorsorge wahrnehmen.
Früherkennung rettet Leben: Warnzeichen für Darmkrebs nicht ignorieren
Ein wachsender Teil der unter 50-Jährigen, bei denen Darmkrebs diagnostiziert wird, hatte keine Möglichkeit zur Vorsorge – schlicht, weil sie das empfohlene Mindestalter von 45 Jahren noch nicht erreicht haben. Doch selbst unter den bereits Berechtigten bleibt die Zahl der tatsächlich durchgeführten Vorsorgeuntersuchungen gering. Darauf weist Jessica Star hin, leitende Wissenschaftlerin für Krebsvorsorgeforschung bei der American Cancer Society und Hauptautorin der neuen Studie.
Ob man zur empfohlenen Vorsorgegruppe gehört oder nicht – die Aufmerksamkeit für mögliche Symptome ist entscheidend. Wer entsprechende Anzeichen bei sich bemerkt, sollte nicht zögern, ärztlichen Rat einzuholen.
Welche Symptome ernst genommen werden sollten
Statistisch gesehen erkrankt in den USA etwa jeder 23. Mann und jede 25. Frau im Laufe ihres Lebens an Darmkrebs. Das häufigste Warnzeichen ist dabei rektale Blutung. Laut Star tritt dieses Symptom bei rund 41 % der Patientinnen und Patienten unter 50 Jahren auf – bei Älteren sind es nur 26 %. Auch Bauchschmerzen und krampfartige Beschwerden können ein Hinweis sein.
„Gerade jüngere Menschen scheuen sich oft, über solche Symptome zu sprechen“, sagt Star. „Dabei kann genau das den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.“
Weitere Warnzeichen, die nicht unterschätzt werden dürfen, sind:
- anhaltende Veränderungen der Stuhlgewohnheiten
- auffällige Veränderungen der Stuhlkonsistenz oder -form
- Appetitlosigkeit
- ungewollter Gewichtsverlust
Star betont: „Wenn diese Symptome über mehrere Wochen bestehen, sollte unbedingt ein Arztbesuch erfolgen. Und wenn man als junge Person mit seinen Sorgen nicht ernst genommen wird – holt euch eine zweite Meinung. Es gibt leider zu viele Geschichten, in denen junge Menschen mit dem Hinweis auf harmlose Hämorrhoiden vertröstet wurden, nur um später eine Krebsdiagnose zu erhalten.“
Der Mut zur Selbstfürsorge: Ein Erfahrungsbericht
Ein bewegendes Beispiel ist die Geschichte von Kelly Spill. Sie war gerade 28 Jahre alt und frischgebackene Mutter, als sie erste Symptome bemerkte. Ihre Ärzte führten die Beschwerden zunächst auf die Zeit nach der Geburt und innere Hämorrhoiden zurück.
„Ich ging auf die Toilette, schaute nach unten – und es sah aus, als hätte ich meine Periode“, erzählte sie gegenüber CNN. „Aber das war definitiv nicht der Fall. Da wusste ich: Das ist ernst.“
Als sie erneut große Mengen Blut im Stuhl bemerkte, machte sie Fotos und zeigte sie einer anderen Ärztin. Diese reagierte sofort – und veranlasste eine Koloskopie. So erhielt Spill schließlich die Diagnose: Rektumkarzinom im Stadium III.
Dank einer modernen Immuntherapie mit dem Medikament Dostarlimab konnte sie erfolgreich behandelt werden. Heute ist sie gesunde Mutter von drei Kindern – und krebsfrei.
„Selbstfürsorge und Hartnäckigkeit sind alles“, betont Spill. „Wenn ich nicht immer wieder nachgehakt hätte – ich weiß nicht, wo ich heute stehen würde.“
Wie man das eigene Risiko für Darmkrebs senken kann
Die gute Nachricht ist: Man kann etwas tun. Und zwar nicht wenig. Wer sich regelmäßig untersuchen lässt, senkt sein Risiko für Darmkrebs erheblich. Denn die meisten dieser Krebsarten beginnen als kleine, zunächst harmlose Polypen im Dick- oder Enddarm – doch mit der Zeit können sie entarten. Wird ein solcher Polyp jedoch rechtzeitig erkannt und entfernt, kann der Krebs gar nicht erst entstehen.
Welche Screening-Methoden gibt es?
Für Menschen mit durchschnittlichem Risiko stehen heute verschiedene Vorsorgeoptionen zur Verfügung. Dazu gehören etwa stuhlbasierte Tests , die einmal jährlich oder alle drei Jahre durchgeführt werden können. Alternativ kommt eine klassische Darmspiegelung (Koloskopie) infrage, die nur alle zehn Jahre wiederholt werden muss. Weitere Möglichkeiten sind eine virtuelle Koloskopie alle fünf Jahre oder die sogenannte Sigmoidoskopie, bei der nur der untere Teil des Darms mit einem flexiblen Endoskop untersucht wird – auch diese Methode wird alle fünf Jahre empfohlen.
Interessant ist ein weiteres Studienergebnis, das kürzlich im Fachjournal JAMA veröffentlicht wurde: Menschen, die automatisch ein Stuhltest-Kit nach Hause geschickt bekamen, führten die Untersuchung deutlich häufiger durch als jene, die sich aktiv zwischen verschiedenen Screening-Methoden entscheiden mussten. Die Bequemlichkeit – und vielleicht auch ein kleiner Stupser im Alltag – scheint also eine entscheidende Rolle zu spielen.
Der Haken: Zu viele werden noch nicht untersucht
Auch wenn die Zahlen leicht steigen: Noch immer lassen sich über ein Drittel aller Menschen ab 45 nicht regelmäßig untersuchen – obwohl genau das empfohlen wird. Vor allem Menschen ohne Zugang zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung bleiben außen vor. Genau das ist ein großes Problem, wie Expertin Elizabeth Schafer betont.
Was kann man selbst tun – unabhängig vom Screening?
Natürlich ist Vorsorge wichtig – aber es gibt noch viele weitere Maßnahmen, mit denen jeder Einzelne sein persönliches Risiko senken kann. Die Empfehlungen sind altbekannt, aber sie werden durch neue Forschung immer wieder bestätigt:
- Nicht rauchen.
- Auf ein gesundes Körpergewicht achten.
- Regelmäßig körperlich aktiv sein.
- Alkohol nur in Maßen konsumieren.
- Eine ausgewogene Ernährung mit wenig rotem und verarbeitetem Fleisch, dafür aber reich an Vollkornprodukten, Obst und Gemüse.
Nach Angaben der American Cancer Society sind mehr als die Hälfte aller Darmkrebsfälle in den USA auf genau diese vermeidbaren Risikofaktoren zurückzuführen.
Ein gesunder Lebensstil ist Schutz und Prävention zugleich
Dr. Josephin Rinaldi, Gastroenterologe am Montefiore Einstein Cancer Center, hebt hervor, wie stark insbesondere Übergewicht und Bewegungsmangel mit der Entstehung von Darmkrebs – vor allem im jungen Erwachsenenalter – verbunden sind. Er rät zu einem aktiven Alltag, dem Verzicht auf Tabak und Zuckergetränke sowie zu einer ballaststoffreichen, pflanzenbasierten Ernährung. Rotes und verarbeitetes Fleisch sollte hingegen eher selten auf den Teller kommen – das sei ein einfacher, aber wirksamer Schutz für die Darmgesundheit.
(FAQ)
Ab welchem Alter sollte ich zur Darmkrebsvorsorge gehen?
In den USA und vielen anderen Ländern wird empfohlen, ab einem Alter von 45 Jahren mit regelmäßigen Untersuchungen zu beginnen – auch wenn man keine Beschwerden hat und kein erhöhtes Risiko vorliegt.
Welche Vorsorgeuntersuchungen stehen zur Verfügung?
Es gibt verschiedene Optionen: eine Koloskopie alle 10 Jahre, stuhlbasierte Tests jährlich oder alle 3 Jahre, eine virtuelle Koloskopie alle 5 Jahre oder eine Sigmoidoskopie im gleichen Abstand.
Was sind Polypen und warum sind sie gefährlich?
Polypen sind kleine Wucherungen an der Darmschleimhaut, die meist harmlos sind, sich aber zu Krebs entwickeln können. Bei der Vorsorgeuntersuchung werden sie früh erkannt und entfernt – so kann Krebs verhindert werden.
Was kann ich selbst tun, um mein Risiko zu senken?
Ein gesunder Lebensstil ist entscheidend: nicht rauchen, ausgewogen essen, regelmäßig bewegen, Alkohol reduzieren und Übergewicht vermeiden. Eine ballaststoffreiche Ernährung mit viel Gemüse, Obst und Vollkornprodukten ist besonders hilfreich.
Gibt es einen Unterschied zwischen Männern und Frauen beim Risiko?
Ja, Männer haben im Durchschnitt ein etwas höheres Risiko. Etwa 1 von 23 Männern und 1 von 25 Frauen wird im Laufe des Lebens an Darmkrebs erkranken.
Wie kann ich meine Familie oder Freunde zur Vorsorge motivieren?
Offene Gespräche, persönliche Erfahrungen und das Teilen von Informationen (wie dieser FAQ) können helfen, Ängste abzubauen. Viele Erkrankungen lassen sich durch einfache Vorsorge vermeiden – das sollten wir einander immer wieder bewusst machen.